Warum haben Sie diesen Berufsbereich und hier die fünf Berufe in den Fokus genommen?
Erfurt/Atzendorf: Gesundheitsfachberufe haben eine wachsende gesellschaftliche Relevanz, bedingt durch den demografischen Wandel und den steigenden Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen. Nach der Pflege, zu der bereits eine Situationsanalyse vorliegt, nehmen wir nun weitere Gesundheitsfachberufe in den Blick. Die Auswahl basiert auf einer statistischen Erhebung im Förderprogramm IQ: Physiotherapeuten, Hebammen, Medizinische Technologinnen für Laboratoriumsanalytik (MTL) sowie für Radiologie (MTR) und Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) waren demnach von 2019 bis 2022 die gefragtesten Gesundheitsfachberufe in der Beratung sowie bei Qualifizierungsangeboten. Hier liegt also fundierte Erfahrung und Expertise in der Begleitung von Anerkennungsprozessen vor. Insbesondere Physiotherapeutinnen und Hebammen zählen auch zu den antragsstärksten Bundesberufen.
Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Ergebnis?
Erfurt/Atzendorf: Durch die Reglementierung ist die Anerkennung zwingende Voraussetzung für den Berufszugang, gleichzeitig sind die Anerkennungsprozesse komplex. In unseren fünf Fokusberufen kommt hinzu, dass die Fallzahlen vor allem bei MTL, MTR und PTA vergleichsweise gering sind. Dadurch gibt es im Vergleich zu Pflegekräften auch weniger Kursangebote. Bei Hebammen führt die Akademisierung des Berufs außerdem dazu, dass Hochschulen als neue Akteure für Ausgleichsmaßnahmen gewonnen werden müssen. Spannend ist auch: Die Anzahl der Anerkennungsanträge in den fünf Berufen variiert regional sehr stark, 2022 waren es je nach Bundesland zwischen 0 und 800. Begrüßenswert ist die Einführung der digitalen Antragstellung, die für Physiotherapeutinnen, Hebammen, MTR, MTL und PTA bisher in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, für Hebammen zusätzlich in Schleswig-Holstein möglich ist. Die Anbindung weiterer Bundesländer und Berufe ist wünschenswert.
Wo sehen Sie noch die größten „Baustellen“?
Erfurt/Atzendorf: Wenn man sich das Qualifizierungsangebot anschaut, zeigt sich: Für die fünf Fokusberufe zusammengerechnet gibt es pro Bundesland lediglich 0 bis 13 Anpassungslehrgänge und Vorbereitungskurse auf die Kenntnisprüfung. Ein Lösungsansatz sind individuell gestaltete oder bundesländerübergreifende Maßnahmen; doch insgesamt reicht das regionale Angebot aktuell nicht aus. Ein weiterer Punkt, den man derzeit wirklich als „Baustelle“ bezeichnen könnte, ist die bundesweite Einführung bzw. Umsetzung der Fachsprachenprüfung für die Gesundheitsfachberufe. Der Beschluss dazu wurde bereits 2019 getroffen. Allerdings bietet Bayern aktuell als einziges Bundesland dieses Prüfungsformat in den von uns betrachteten Berufen an. Darüber hinaus wurde deutlich, dass vor allem die Finanzierung der Ausgleichsmaßnahmen eine der größten Herausforderungen darstellt: Nach Daten aus der vom BMBF geförderten Qualifizierungsförderung liegen die durchschnittlichen Qualifizierungskosten in den betrachteten Berufen bei über 4.000 Euro. Das ist deutlich mehr als in anderen Berufsbereichen. Insgesamt wäre es auch deshalb wünschenswert, dass Qualifizierungen, ob im Sprachbereich oder Ausgleichsmaßnahmen, berufsbegleitend absolviert werden können. Das würde Personen, die einer Erwerbs- oder Caretätigkeit nachgehen, enorm entgegenkommen. Dafür müssen diese Qualifizierungsangebote innovativer und bedarfsgerechter gedacht werden; z.B. durch die Modularisierung der Inhalte oder den Einsatz von Blended-Learning-Ansätzen.
Das Interview mit Tatjana Erfurt und Christian Atzendorf fand im November 2024 statt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Anna-Lena Mainka und Laura Roser haben sie die Studie „Berufliche Anerkennung von Gesundheitsfachkräften mit einer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation“ (Kurztitel: „Situationsanalyse Gesundheitsfachberufe“) verfasst. Die Situationsanalyse dient als Bestandsaufnahme zu den aktuellen Strukturen und Prozessen und gibt Handlungsempfehlungen für beteiligte Akteure auf operativer und strategischer Ebene.
Die IQ Situationsanalyse Gesundheitsfachberufe (2024) lässt verschiedene Expertinnen und Experten zu Wort kommen und enthält auch zwei Gastbeiträge aus dem BIBB: Dr. Rebecca Atanassov und Moritz Scholz berichten über aktuelle Entwicklungen bei der Anerkennung von Pflegeberufen. Sven Mückenheim erläutert die Fortschritte bei der digitalen Antragstellung.
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