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Ein Angebot des Bundesinstituts für Berufsbildung

Geflüchtete aus der Ukraine

Das BIBB-Anerkennungsmonitoring hat untersucht, wie sich der Ukraine-Krieg auf Beratung und Antragstellung zur Anerkennung auswirkt. Im Interview fasst Moritz Scholz die Erkenntnisse der Kurzbefragung zusammen.

Was war das Ziel der Kurzbefragung und mit welchen Akteuren wurde gesprochen?

Moritz Scholz: Da wir erst im Spätsommer 2023 die Ergebnisse der amtlichen Statistik zur Anerkennung für das Jahr 2022 erhalten werden, wollten wir uns einen ersten Überblick über die aktuelle Situation der Beratung und Antragstellung von Geflüchteten aus der Ukraine verschaffen. Dazu haben wir in drei Runden jeweils etwa 20 bis 30 Mitarbeitende von Anerkennungsstellen und Beratungseinrichtungen sowie weitere Expertinnen und Experten, u.a. der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe (GfG), um ihre Einschätzung gebeten. Die Befragungen erfolgten im März und Juni 2022 sowie zuletzt im September und Oktober 2022 schriftlich oder telefonisch. Im Fokus standen die Erfahrungen der zuständigen Stellen für Heilberufe und pädagogische Berufe sowie für die Anerkennung von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Denn zu diesen Berufen haben sich viele Ukrainerinnen und Ukrainer von den Beratungsstellen des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ beraten lassen.

Welche Veränderungen beobachten die unterschiedlichen Akteure?

Moritz Scholz: Sowohl die Beratungseinrichtungen als auch die Anerkennungsstellen nehmen in den meisten Fällen einen starken Anstieg an Beratungsanfragen von Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine wahr. Diese Dynamik ließ sich über alle Befragungsrunden hinweg beobachten. Die IQ Beratungsstellen meldeten etwa, dass im September 2022 in einigen Bundesländern jede zweite ratsuchende Person aus der Ukraine kam. In unseren Interviews berichteten die Befragten auch, dass sich die Fragen anfangs häufiger auf aufenthaltsrechtliche Themen oder die Finanzierung und Suche einer Unterkunft bezogen. Fragen zur Berufsanerkennung stehen bei der Erstberatung also nicht im Mittelpunkt. Nur ein sehr geringer Teil der Anfragen an die Anerkennungsstellen mündete bisher in einen Antrag auf Anerkennung. Hier gilt natürlich zu beachten, dass die Anerkennung nur für die Ausübung von reglementierten Berufen z.B. im Gesundheitsbereich oder im pädagogischen Bereich notwendig ist. Für die meisten Stellen lassen sich bislang keine Veränderungen in den Antragszahlen beobachten. Hinzu kommt, dass ein Teil der Menschen, die nun ihre Qualifikationen aus der Ukraine anerkennen lassen, bereits vor dem Beginn des Krieges in Deutschland lebten.

Warum lassen bisher nur wenige Geflüchtete ihre Qualifikation anerkennen? Liegt das vielleicht an der Beschaffung der notwendigen Unterlagen?

Moritz Scholz: Die Beschaffung von Dokumenten für die Anerkennung ist laut den zuständigen Stellen in den meisten Fällen unproblematisch. Die Stellen haben durch frühere Fluchtbewegungen bereits viel Erfahrung mit der Situation. In der Praxis sind sie daher flexibel und darauf bedacht, im Rahmen der rechtlichen Handlungsspielräume individuelle Lösungen zu finden. Dieses Bild bestätigten auch die Beratungseinrichtungen. So werden etwa häufig eidesstaatliche Erklärungen akzeptiert, falls originale Unterlagen nicht aus der Ukraine beschafft werden können. Beim Status von Unterlagen verzichten die Stellen teilweise auf Übersetzungen und Beglaubigungen und greifen auf „Referenzfälle“ und das staatliche, elektronische Bildungsregister zurück, um ukrainische Abschlüsse zu verifizieren.

Die größte Hürde auf dem Weg zur Anerkennung sind laut den Befragten die zumeist geringen Deutschkenntnisse der Kriegsgeflüchteten. Auch wenn Sprachkenntnisse im Anerkennungsverfahren nicht vorausgesetzt werden, können die Anforderungen bis zum Zeitpunkt der Berufszulassung insbesondere bei pädagogischen Berufen sowie Heilberufen hoch sein. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer befinden sich derzeit noch in Integrationskursen oder Sprachkursen.

Welche Möglichkeiten gibt es, den Menschen aus der Ukraine den Weg zur Anerkennung zu erleichtern?

Moritz Scholz: Grundsätzlich sollen Geflüchtete aus der Ukraine bei der Berufsanerkennung nicht gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern bevorzugt behandelt werden. Auch ist es schwierig, den Anerkennungsprozess „abzukürzen“. Bei der Anerkennung von Ärztinnen oder Pädagogen muss der Schutz von Patienten bzw. von Kindern und Jugendlichen oberstes Gebot sein.

Dennoch zeigt sich in der Praxis, dass die Länder Möglichkeiten finden, ukrainischen Geflüchteten den Zugang zur Berufstätigkeit zu erleichtern. So können z.B. ukrainische Ärztinnen oder Pädagogen auch ohne vollständige Anerkennung bereits arbeiten, etwa zur psychologischen Betreuung in Erstaufnahmeeinrichtungen oder als Lehrkräfte in „Willkommensklassen“. Solche Ausnahmeregelungen sind zwar nicht neu, finden derzeit aber in einigen Bundesländern vermehrt Anwendung. Unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit wurde in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zudem ein Anpassungslehrgang für Pflegefachkräfte konzipiert. Dieser ist auf der Grundlage von Mustergutachten auf ukrainische Curricula zugeschnitten und soll dazu dienen, Unterschiede zwischen der ukrainischen und deutschen Pflegeausbildung parallel zu einer Beschäftigung auszugleichen und so die volle Anerkennung zu erreichen.

Darüber hinaus stehen viele Informationen zur Anerkennung inzwischen in ukrainischer Sprache bereit, so z.B. von „Anerkennung in Deutschland“.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft?

Moritz Scholz: Einige Beratungseinrichtungen und zuständige Stellen rechnen im Frühjahr 2023 mit höheren Antragszahlen, da bis dahin viele Ukrainerinnen und Ukrainer ihren ersten Sprachkurs abgeschlossen haben werden. Die GfG äußert sich zurückhaltender und blickt auf Erfahrungen mit der Anerkennung syrischer Geflüchteter, die häufig erst nach zwei bis drei Jahren ihre berufliche Anerkennung beantragten. Dabei ist der GfG natürlich bewusst, dass sich die Situation nicht eins zu eins vergleichen lässt.

Ob Geflüchtete aus der Ukraine ihre Qualifikationen anerkennen lassen werden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: Wie entwickelt sich die Situation in der Ukraine? Können bzw. wollen die Menschen zurück in ihre Heimat? Welche Zukunftsaussichten bietet Deutschland den Geflüchteten? Letztlich handelt es sich um ganz persönliche Entscheidungen. In jedem Fall arbeiten Bund und Länder daran, den Menschen aus der Ukraine Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Das Interview mit Moritz Scholz fand im Januar 2023 statt. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Anerkennungsmonitoring des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), das die Umsetzung des Anerkennungsgesetzes wissenschaftlich begleitet. Kontakt für Fragen: anerkennungsmonitoring@bibb.de 

Das BIBB-Anerkennungsmonitoring hat in einer Veröffentlichung zur „Anerkennung ukrainischer Berufsqualifikationen“ (2022) Hintergründe und Herausforderungen benannt. Die Ergebnisse der Kurzbefragung sind darin allerdings noch nicht enthalten.

Cover BIBB Discussion Paper
BIBB, 2022

Anerkennung ukrainischer Berufsqualifikationen

Bildungsniveau und Erwerbsbeteiligung in der Ukraine bzw. in Deutschland lebender Ukrainerinnen und Ukrainer, die Anerkennung der Berufsqualifikationen und Verbesserungspotenzial des Anerkennungsprozesses.

Wichtige Informationen zur Zuständigkeit und Details zum Anerkennungsverfahren für die deutschen Referenzberufe bieten der Profi-Filter im Profi-Bereich und der Anerkennungs-Finder im Fachkräfte-Bereich von „Anerkennung in Deutschland“.